Interview mit Dr. Heinz Münzenrieder
Sozialschmarotzer? Von wegen! Die Freie Wohlfahrtspflege geht davon aus, dass die Summe nicht beantragter Hilfen – ob aus Scham, Unkenntnis oder anderen Gründen – weit höher ist als die Summe zu Unrecht erhaltener Leistungen. Zum Thema Sozialmissbrauch ein Interview mit dem Vorsitzenden des Präsidiums und Verwaltungsrats der AWO Schwaben e.V., Dr. Heinz Münzenrieder.
Frage: Wird unser Sozialsystem tatsächlich vom Missbrauch und Betrug geprägt?
Dr. Münzenrieder: Missbrauch und betrügerisches Handeln zu Lasten der Allgemeinheit ist überall anzutreffen. Auch bei Subventionen, im Steuerrecht oder bei der Schwarzarbeit und gehört überall bekämpft und abgestellt. Gerade beim „Sozialbetrug“ sollte man aber die Kirche im Dorf lassen: Seriöse Untersuchungen sprechen davon, dass beispielsweise bei der Sozialhilfe lediglich unter 0,5 % der Gesamtaufwendungen durch verschwiegene oder falsche Angaben herbeigeführt werden.
Frage: Im Mittelpunkt des medialen Interesses sind aber meist Hartz-IV- Betrugsfälle. Gibt es hier eine besonders negative Entwicklung?
Dr. Münzenrieder: Im Gegenteil. Die Zahl der Unregelmäßigkeiten ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Dies liegt einmal am zwischenzeitlich optimierten Datenabgleich. Man muss aber auch die Relationen sehen: Im Jahre 2010 wurden beispielsweise 60 Millionen Euro unrechtmäßig ausbezahlt. Dies bei einem 12,3 Milliarden-Euro-Ausgabeetat! Die Zahlen zeigen, dass es gemessen an der Gesamtzahl der Leistungsberechtigten nur einen Bruchteil derer gibt, die bewusst das System schädigen wollen.
Frage: Ist damit alles im sozialen Lot?
Dr. Münzenrieder: Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege gehen hiervon aus, dass die Summe nicht beantragter sozialer Leistungen – sei es aus Scham, Unkenntnis oder auf Grund persönlicher Repressionen aus dem Umfeld eines Bedürftigen – weit höher ist als die Summe missbräuchlich bezogenen Leistungen. Dies ist kein Grund für die Verniedlichung von Missbrauch, sollte aber zur Versachlichung der gerade in der Boulevard-Presse oft recht schrill geführten Diskussion führen. Im übrigen sollten wir eines nicht vergessen: Viel wichtiger als über den (zu verurteilenden) Sozialmissbrauch sich auszulassen, ist etwas anderes: Alles zu tun, damit Menschen nicht zu sozialen Bittstellern werden. Hier ist der Handlungsbedarf evident!