Mit der Armut steigt Suchtgefahr bei Kindern

Die Zahl der Suchtgefährdeten steigt, auch bei Kindern und Jugendlichen. „2008 wurden bundesweit 2400 Mädchen zwischen 10 und 15 Jahren mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert – eine Steigerung um 170 % gegenüber 2000“, berichtete Eberhard Gulde, der Vorstandsvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Bezirksverband Schwaben e.V. 
Auf der diesjährigen Sozialkonferenz in Stadtbergen (bei Augsburg) beleuchtete der Wohlfahrtsverband, der schwabenweit rund 2500 Mitarbeiter beschäftigt, die vielfältigen Suchtgefahren von Kindern und Jugendlichen. Dazu nahmen rund 150 Delegierte, Politiker und Fachleute aus ganz Schwaben teil. Im Vorjahr ging es bei der Tagung um die Kinderarmut, dazu wurde ein Hilfsfonds mit 50.000 € aufgelegt.
Mit Fachkliniken für alkoholabhängige Frauen in Legau (Landkreis Unterallgäu) und Männer in Schönau (Landkreis Lindau) sowie der Psychosozialen Beratungsstelle Memmingen-Mindelheim versucht die AWO der wachsenden Suchtgefahr gegenzusteuern. Doch die Rahmenbedingungen würden immer schwieriger, kritisierte Dr. Heinz Münzenrieder, der Vorsitzende des Präsidiums der AWO Schwaben: „1997 hat die Rentenversicherung ohne sachlichen Grund die Therapiedauer bei der Entwöhnung Alkoholkranker von 24 auf 16 Wochen reduziert. Jetzt wurde sie sogar auf 15 Wochen weiter verkürzt. Eine qualifizierte Entwöhnung ist somit nicht mehr möglich.“ Zudem gerieten die Kliniken wirtschaftlich zusätzlich unter Druck.
Wie wichtig professionelle Hilfe ist, berichteten zwei Alkoholkranke in ihren ergreifenden Vorträgen vor rund 150 Teilnehmern im Stadtberger Bürgersaal. Das unterstreicht auch eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts Prognos AG: Für jeden Euro, der in medizinische Rehabilitation investiert wird, erhält die Volkswirtschaft 5 Euro zurück. Zugleich bleiben jährlich 150.000 Arbeitskräfte erhalten, die sonst aufgrund ihrer Sucht früher aus dem Berufsleben ausscheiden müssten.
Prof. Dr. Dieter Henkel vom Institut für Suchtforschung der Fachhochschule Frankfurt zeigte auf, dass die Suchtgefahr bei Kindern und Jugendlichen sehr stark von der sozialen Schicht, vom Wohlstandsniveau und von der Schulform abhängt (Vortrag hier zum Download). Am Gymnasium rauchen 15 % der 15- und 16-Jährigen täglich mehr als zehn Zigaretten, an der Hauptschule sind es 30 %. Ähnliches Bild auch beim „Kampftrinken“: 17 % der 15- bis 16-jährigen Haupt- und Realschüler betranken sich binnen eines Monats exzessiv, bei den Gymnasiasten waren es „nur“ 10 %. Auch bei Cannabis steigt die Suchtgefahr, je niedriger der soziale Status ist. „Die sozial benachteiligten Schichten mit den höchsten Betroffenheitsquoten nehmen an den präventiven Angeboten am wenigsten teil.“ Deshalb plädiert Henkel, einer der renommiertesten Suchtexperten in Deutschland, für möglichst niederschwellige Angebote, auch an Hauptschulen. „Ein gutes Gesamtschulkonzept könnte der Suchtproblematik nutzen.“